
Liebe Mitmenschen,
draußen sein, das hat für viele in den letzten Tagen eine ganz besondere Qualität gewonnen. Manche von Ihnen sehnen sich danach, weil sie derzeit gar nicht mehr herausdürfen, höchstens noch auf ihren Balkon, wenn sie denn einen haben. Andere genießen jetzt ganz besonders Frühlingsspaziergänge alleine oder zu zweit bei dem zwar kalten aber sonnigen Wetter, weil viel mehr nicht mehr erlaubt ist.
Es ist schon interessant, inwieweit Angst Menschen dazu bringen kann, auch die Einschränkung des Grundrechts auf Freiheit in Kauf zu nehmen! Angst, doch bemerkenswerterweise auch Solidarität, insbesondere von Seiten derer, die sich einschränken, obwohl sie ein relativ geringes Risiko haben schwer zu erkranken.
Überhaupt erlebe ich derzeit erfreulich viel an Solidarität unter den Menschen, und an Einsatz. Ich habe Hochachtung vor all den Menschen, die derzeit in den Krankenhäusern, in Alten- und Pflegeheimen, in Behinderteneinrichtungen, aber auch in den Läden und an vielen anderen Orten ihren Mann und ihre Frau stehen, oft unter dem Einsatz ihrer eigenen Gesundheit. Danke ihnen allen!
Draußen sein: Interessant ist für mich, dass gerade für viele Menschen drinnen zu sein bedeutet draußen zu sein. Weil sie drinnen sein müssen, sind sie draußen: abgeschnitten von Kontakten, ausgeschlossen aus ihren sozialen Bezugsgruppen und aus einem halbwegs unbeschwerten, frühlingshaften Leben, das für die anderen noch möglich ist. Für sie ist die Sehnsucht nach dem Draußen Sein gerade auch eine Sehnsucht danach wieder drinnen zu sein im normalen Leben. Drinnen sein, draußen sein, das ist offensichtlich eine Frage der Perspektive.
Ums Draußen Sein und ums Hinausgehen geht es auch im Predigttext vom Sonntag Judika, Hebräer 13,12-14, der zugegebenermaßen für unsere heutigen Ohren etwas befremdlich klingt: „Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Hinausgehen sollen wir, hinaus zu denen, die draußen sind, so wie Jesus, der draußen vor den Toren Jerusalems hingerichtet wurde. Und so wie Jesus sich auch genau denen zugewandt hat, die in irgendeiner Hinsicht draußen waren.
Doch wie sollen wir denn nun gerade jetzt hinausgehen, wo wir doch drinnen bleiben sollen? Hinausgehen - ich kann das auch im übertragenden Sinne tun, z.B. indem ich mir überlege: Wer ist gerade sehr allein und würde sich über einen lieben Anruf freuen? Wem kann ich gerade irgendwie nach meinen Möglichkeiten beistehen?
Und manchmal beschränkt sich das Hinausgehen vielleicht auch darauf, dass wir diejenigennicht vergessen, die in diesen Tagen ganz besonders gebeutelt sind:
Die Sterbenden auf der Intensivstation und die Trauernden, die sie nicht einmal besuchen dürfen, die Obdachlosen auf den Straßen, diejenigen, die jetzt in wirtschaftliche Not gestürzt werden durch die Pandemie, aber auch die, die jetzt besonders vergessen sind: Flüchtlinge in den Lagern und an den Grenzen, und natürlich auch die Menschen in Afrika und Nahost, die weiterhin leiden an schrecklichen Kriegen und schlimmen Krankheiten, Dürre und Hunger…
Ich glaube tatsächlich daran, dass unsere guten Gedanken, unsere Gebete auch über die Distanz etwas bewirken können.
Und vielleicht relativiert das sogar manches an eigenen Sorgen und Nöten. Und wenn ich selbst gerade das Gefühl habe draußen zu sein, dann kann es tröstlich sein, dass
ich nicht alleine bin. Es sind ja nicht nur die solidarischen Gedanken der anderen, die mich begleiten. Auch Jesus hat sich nicht in die Geborgenheit kuscheliger vier Wände zurückgezogen. Damit hat er uns gezeigt, wo Gott ist: draußen bei denen, die leiden. Dort werden wir ihn finden auf der Suche nach einer anderen Welt, in der es Trost gibt und Liebe, in der es kein Draußen und kein Drinnen mehr gibt, kein Leid und keine Verzweiflung. Noch ist sie nicht da, aber mit unseren guten Gedanken und Gebeten machen wir uns auf den Weg dahin. Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir. Das bestärkt mich in der tröstlichen Hoffnung, dass auch das jetzige Leid nicht bleibend ist. Die Suche nach dieser anderen Welt wird nicht vergeblich sein, denn Gott hält für uns eine andere Zukunft bereit. All unsere guten Gedanken und Gebete, die wir in die Welt senden, helfen mit auf dieser Suche.
Und ich glaube fest daran: Je mehr wir, je mehr Menschen sie aussenden – umso mehr bricht auch in der Passionszeit wahrer Frühling an.
In diesem Sinne: Bleiben Sie alle behütet!
Ihre Annette Leppla